Donnerstag, 25. Oktober 2018

Ereignisreiche Nacht im Schildkröten-Camp

Letzte Woche Dienstag hatte ich die Möglichkeit eine Nacht im Schildkröten-Camp zu verbringen.

In Costa Rica ist der Schutz der vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröten gesetzlich verankert. Viele Organisationen, wie auch „First Hand“ sorgen dafür, dass die Zeit von der Eiablage bis zum Schlüpfen der Jungtiere gesichert ist. Ohne Hilfe würden nur etwa 5% der Jungtiere überleben. Die Gefahren lauern überall, schon die Eier sind Jagdbeute von Landtieren wie z.B. Waschbären, Echsen, Krokodilen oder Geiern.


Dieses Nest wurde von einem Waschbären ausgeraubt. 

Schaffen es die Kleinen bis zum Wasser, sind sie leichte Beute für Meerestiere. Aber das ist der natürliche Lebenslauf, viel schlimmer ist das was wir Menschen anstellen …. Im Pazifik verenden die meisten Tiere in den Netzen der immer intensiver betriebenen Industrie-Fischerei oder sie ersticken qualvoll an Plastikmüll. Menschen plündern die Nester, essen die Eier, verkaufen die Schildkröten und nutzen die Panzer für die Schmuckherstellung.

Etwa 100 Eier legt die Schildkröte, bevorzugt in der Regenzeit, in ihr selbst ausgegrabenes Loch. Dank der wärmenden Sonne schlüpfen die Jungtiere nach zwei Monaten und krabbeln auf direktem Weg ins Meer. Eine lange Reise zu den Galapagosinseln und der Küste von Kolumbien beginnt. Es ist der Ort, an dem sie ihr Leben verbringen …. und wenn sie mit 20 Jahren paarungsfähig sind, kehren sie zur Eiablage genau an denselben Strand zurück, an dem sie das Licht der Welt erblickt haben. Einfach faszinierend! 

Hier in Costa Rica gibt es vier Meeresschildkrötenarten (Lederschildkröte, Grüne Meeresschildkröte, Karettschildkröte, Olive Bastardschildkröte), die zur Eiablage an die Küste kommen. Dazu nutzen sie nur die für sie geeigneten Strände. Unser Strand „Playa Buena Vista“ ist ein solcher Strand. Die Schildkröten kommen nachts im Schutz der Dunkelheit an Land um ihre Eier abzulegen.

In der Regenzeit ist der Strand „Playa Buena Vista“ von Esterones und auch von Sámara aus nur über einen Fluss, der in das Meer mündet, zu erreichen. Je nach Regen ist der Fluss unterschiedlich tief und ausgerechnet am Dienstag regnete es wieder mal wie aus Eimern. Aber der Regen konnte uns nicht davon abhalten und unser Abenteuer begann mit einer Flussüberquerung .... 
Mit den Rucksäcken in der Hand stiegen wir in den Fluss. Eine Weile lang ging mir das Wasser bis zum Bauchnabel, alles war gut. Doch plötzlich wurde es tiefer, das Wasser reichte jetzt bis an die Schultern und ich musste mein Rucksack auf den Kopf nehmen. Anna war mir etwas voraus und ich sah wie sie zu Schwimmen begann. Ich selbst konnte den Rucksack einigermaßen trocken halten und war wirklich froh als ich endlich auf der anderen Seite Nils, einen Freiwilligen aus dem Camp, begrüßen konnte. Von hier aus marschierten wir 1,3 km am Strand entlang bis zum Schildkröten-Camp.


Das Camp ist das einzige Gebäude an der etwa 2 km langen menschenleeren Bucht direkt am Waldrand. In einer auf Stelzen errichteten Hütte gibt es einen offenen Schlafraum mit Stockbetten, eine Küche, eine Toilette, zwei Duschen und einen großen Esstisch für die ganze Mannschaft. Es gibt kein elektrisches Licht. Licht gibt die Sonne, der Mond, die Kerzen oder das Lagerfeuer. Trinkwasser fließt über eine Leitung aus dem nächsten Dorf und das Wasser für Dusche und Toilette muss aus einem Brunnen im Wald gepumpt werden. Beide Vorräte werden in dafür vorgesehene Wassertanks gespeichert.


Das Leben im Camp richtet sich ganz nach den Schildkröten, sie stehen im Mittelpunkt. Die täglichen Mahlzeiten, Tag- und Nachtschichten in der Brutstation und Patrouillengänge geben den Tagesablauf vor. Schichtfreie Zeiten verbringt man mit surfen, schwimmen, sonnen, lesen, schreiben oder interessanten Gesprächen. 

Kurz nach Sonnenaufgang um 5:30 Uhr werden alle geweckt. Vor dem Frühstück, wenn die Sonne noch nicht vom Himmel brennt, beginnt die anstrengendste Arbeit des Tages. Das Reinigen der benutzten Nester in der Brutstation. Die Brutstation ist ein eingezäunter, in Quadrate eingeteilter Bereich. In jedem Quadrat befindet sich ein Nest. 


Die Jungtiere schlüpfen meist nachts, sie hinterlassen Eierschalen, es können aber auch geschlossene Eier oder tote Schildkrötenbabys im Nest verbleiben. Das alles wird entfernt und der verbrauchte Sand wird abgegraben, in Säcken zum Meer getragen und gegen frischen Sand ausgetauscht.

Um 8 Uhr ist Frühstückszeit, nach zwei Stunden harter Arbeit knurrt der Magen und man freut sich riesig auf ein nahrhaftes Frühstück. Das Essen im Camp ist wirklich superlecker, es wird von Daniel, einem der beiden Camp-Leiter selbst gekocht.

Nach dem Frühstück stehen täglich wechselnde Arbeiten an: 
·     Camp putzen
·     Strand vom angeschwemmten Plastikmüll säubern
·     Den Weg zu den beiden Flüssen von Pflanzen befreien
·     2x wöchentlich Lebensmittellieferung vom Fluss abholen
·     Wassertanks reinigen

Alle Freiwilligen haben außerdem die Aufgabe sich für jeweils 2 Stunden während einer Tag- und einer Nachtschicht in der Brutstation oder auf Strand-Patrouille den kleinen Meeresschildkröten zu widmen. In der Brutstation werden die Nester alle 20 Minuten nach schlüpfenden Babys abgesucht. Zum Schutz vor Fressfeinden befinden sich auf den Nestern leicht eingegrabene Körbe ohne Boden. Jungtiere schlüpfen immer senkrecht nach oben und befinden sich nach dem Hochkrabbeln in den schützenden Körben. Die geschlüpften Tiere werden gezählt, gewogen und gemessen. Danach bringt man sie in einem Eimer wieder genau an den Strandabschnitt, an dem die Eier von der Mutter vergraben wurden. 

Ich hatte Glück und konnte in meiner Nachtschicht tatsächlich einen Eimer voll mit kleinen geschlüpften Babyschildkröten zum Meer tragen. 


Etwa 10 Meter vom Wasser entfernt habe ich sie frei gelassen, denn die Kleinen müssen die letzten Meter selbst bewältigen. Es ist ein tolles Gefühl zu sehen wie etwa 100 kleine Schildkrötenbabys zielstrebig und in größter Eile zum Meer flitzen.

Eine Patrouille geht zwei Mal pro Nacht den ganzen Strand ab um nach Eier legenden Schildkröten oder deren Nestern zu suchen. Die Nester findet man am besten, indem man Ausschau nach Schildkrötenspuren hält.



Schildkrötenspur im Sand

Aufgabe der Patrouille ist die Eier möglichst bald nach der Eiablage auszubuddeln und zur bewachten Brutstation zu bringen. Dort werden sie dann zeitnah wieder vergraben (ca. 1 Meter tief) damit die Embryos keinen Schaden nehmen. Sollte man Schildkröten bei der Eiablage antreffen darf man ihnen nur mit Rotlicht-Lampen begegnen. Rotes Licht können sie nicht wahrnehmen. Weißes Licht würde sie irritieren und in die falsche Richtung locken, weg vom rettenden Meer. Nur der Mond soll ihnen den Weg weisen. Muttertiere werden vermessen und markiert um festzustellen ob sie mehrmals in der Saison oder jedes Jahr an den gleichen Strand zurückkehren. 



Mit etwas Glück kann man am „Playa Buena Vista“ einer bis zu 2,5 Meter großen Lederschildkröte beim Nest graben und Eier legen zuschauen. Deren Saison geht von September bis März …. genau meine Zeit hier in Costa Rica! Bisher hatte ich noch nicht das Glück. Aber ich konnte während meiner Strand-Patrouille kurz nach Sonnenaufgang, anhand von Schildkrötenspuren, fünf Nester aufspüren. Aus jedem Nest haben wir etwa 100 Eier ausgegraben und zum wieder Eingraben in die Brutstation gebracht.



Beim Ausgraben muss man Handschuhe tragen, die Eier sind sehr empfindlich und vertragen keinen Kontakt mit Creme, Mückenschutz Spray oder sonstige Chemikalien.





Auch wenn meine Nacht im, von der Flussüberquerung nass gewordenen Schlafsack, sehr kalt und verregnet war, würde ich jederzeit wieder gerne ins Camp gehen. Im Moment befinden sich dort acht Freiwillige aus Frankreich, Belgien, Österreich und Deutschland, alle zwischen 18 und 35 Jahre alt. Es ist ein unglaublich tolles Gefühl sofort in den Kreis einer großen internationalen Familie aufgenommen zu werden und gemeinsam an einem der schönsten Plätze der Welt für den Erhalt der Meeresschildkröten zu kämpfen.

Sehr erstaunt hat mich allerdings die Nutzung von Plastiktüten zum Sammeln der Eier. Denn genau die können den Meeresschildkröten sehr gefährlich werden. Die Schildkröten verwechseln schwimmende Tüten mit Quallen und die sind neben Krebsen und Kopffüßern ihr Hauptnahrungsmittel. Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigte, dass 90 % der untersuchten jungen Grünen Meeresschildkröten vom Menschen stammenden Plastikmüll im Verdauungstrakt hatten.

Wir alle müssen endlich weg vom Plastik, es gibt Alternativen!

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